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21.11.22 –
Es kommt nicht oft vor, dass es das Werk eines Lautrer Autors in die Spiegel-Bestsellerliste schafft. Dem Buch 'Ein Mann seiner Klasse' von Christian Baron gelang es 2020. Nicht jeder Lautrer freute sich über diesen Erfolg. Denn Baron beschrieb seine Kindheit und Jugend in einem Lautrer Viertel, dessen Existenz nicht nur die Stadtverwaltung, sondern auch große Teile der Stadtgesellschaft über Jahrzehnte verdrängt hat. In Rezensionen landauf, landab, konnte man nun lesen, dass es in Kaiserslautern war, wo Barons Vater nicht genug Hilfe erhielt, um aus dem Teufelskreis von Armut, Alkoholismus und Gewalttätigkeit auszubrechen.
Am 21. 11. las Christian Baron auf Einladung des Sozialforums Kaiserslautern und der Volkshochschule in der bis auf den letzten Platz gefüllten Friedenskapelle aus seinen vier Büchern. Vermutlich hat er seit seiner Grundschulzeit in der Geschwister-Scholl-Schule nie mehr so nahe an dem Haus vorgelesen, in dem er aufgewachsen ist.
Aber davon unabhängig sollte es eine ungewöhnliche Lesung werden. Hier, am Ende seiner diesjährigen Lesereise, wollte Baron eine politische Veranstaltung: Er machte keine Hehl daraus, dass er in den letzten Jahren der Linken nahegestanden hat, verhehlte aber auch nicht, dass ihn Politik und genereller Zustand der Partei mittlerweile ziemlich frustriere.
Carsten Ondreka vom Sozialforum, der die Veranstaltung moderierte, hatte kein Problem mit der Idee. Baron wollte eine politische Diskussion anregen und so folgte nach rund einer Stunde Lesung und Vortrag, eine weitere Stunde mit Fragen und Statements aus dem Publikum zu der Frage 'was es heißt, in einem reichen Land arm zu sein' - so auch der Titel der Veranstaltung.
In einem Diskussionsstrang ging es darum, wie Baron selbst es geschafft hat, sich aus dem schwierigen Umfeld herauszuarbeiten, in das er hineingeboren wurde. Das habe nun wirklich nichts mit eigenen außergewöhnlichen Fähigkeiten zu tun, erklärte Baron. Er verdanke es anderen Menschen, seiner Tante, die ihn und seine Geschwister nach dem frühen Tod der Mutter aufgenommen hatte, aber auch einigen Lehrern und auch Mitarbeitern des Jugendamtes.
"Wir sind ja keine Ständegesellschaft, wo gar nichts geht. Sondern eine Klassengesellschaft, wo prinzipiell Aufstieg möglich ist. Aber es braucht Hilfe von anderen, die über einem stehen."
Eine Diskussion über die als unbefriedigend erlebte Situation der Kitas und Schulen schloss sich an.
Natürlich wurde auch diskutiert, wie sich Armut 'in einem reichen Land' generell reduzieren lasse. Dieses Anliegen wurde breit geteilt, aber es wurde erwartungsgemäß keine Einigung erzielt, wie es zu realisieren sei. Durch Klassenkampf? Durchs Bürgergeld? Durch mehr von der EU und der Bundesregierung finanzierte Förderprogramme für Kinder aus benachteiligten Familien, wie Volkshochschuldirektor Michael Staudt suggerierte, vielleicht um den zahlreichen klassenkämpferischen Parolen etwas entgegen zu setzen.
Tobias Wiesemann brachte einen weiteren Ansatz ein und wies im Sinne des 'Klassismus'-Konzeptes darauf hin, dass neben die objektive Armut im Sinne geringen Einkommens ja auch noch 'Diskriminierung' trete. Der Wert eines Menschen bemesse sich zu oft an seinem Einkommen, seinem formalen Bildungsabschluss oder seinem 'Habitus'. Dabei sei doch jeder Mensch grundsätzlich gleich viel wert. Und auch ein Möbelpacker wie Barons Vater erfülle eine nützliche Funktion für die Gesellschaft. "Wir müssen das Verständnis in unseren Köpfen ändern!", appellierte er.
Das rief natürlich heftigen Widerspruch von Menschen hervor, die stärker von einem klassisch marxistischen Ansatz überzeugt sind: Es gehe nicht darum die Köpfe zu ändern, sondern die Besitzverhältnisse!
Diese Diskussion ging auch nach dem offiziellen Veranstaltungsende noch weiter:
Wiesemann hat gar nichts dagegen, die Besitzverhältnisse zu ändern: "Wir sorgen für eine wirklich gerechte Umverteilung auf dass die Menschen ähnlich verdienen, einfach für den Einsatz, den sie für die Gesellschaft bringen. Und dann löst sich das Klassendenken langsam so auf, wie es sich eigentlich gehört! Aber das ist natürlich eine harte Arbeit, weil es da enorme Beharrungskräfte gibt."
Einwurf von der Seitenlinie: "Brecht sagt: 'Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm'!"
Wiesemann griff das sofort auf: "Natürlich gehört ein Wohlstand für alle auf dem Planeten (!) zu den Zielen einer verantwortungsvollen Politik."
Man müsse aber überlegen, was Wohlstand bedeute: Für ihn bedeute es, genug zu haben, zufrieden zu sein, die Grundbedürfnisse befriedigt zu sehen: Genug zu essen, ein Platz zum Wohnen, die Wahrnehmung, dass mein Leben gesichert und gesellschaftliche Teilhabe möglich ist.
"Wenn ich hingegen die ganze Zeit nur noch über mein Geld nachdenke, wie ich es vermehren und verteidigen kann, ist das kein 'Stand', bei dem mir 'wohl' ist, also kein Wohlstand. Ich bin dann nur noch reich."
Zurück zur Veranstaltung: Besonders eindrücklich war sie, wenn Menschen von Barons Beispiel angeregt, berichteten, wie sie selbst dem 'Kalkofen' oder ähnlichen Milieus entkommen sind.
Baron hatte erwähnt, dass auch die Tante anwesend sei, die ihn und seine drei Geschwister nach dem Tod seiner Mutter aufgenommen hatte, obwohl sie selbst grade mit ihrem ersten Kind schwanger war.
Jemand stellte die Frage, wie diese Tante den Mut gefunden habe, in ihrer selbst nicht einfachen Situation noch vier Kinder hinzuzunehmen und – wie von Baron vorgelesen – auf dem Jugendamt für sie zu kämpfen. Man fragte die Tante selbst. Ihre Antwort war ein Höhepunkt der Veranstaltung:
"Do brauchds kä Mut! Des warn doch die Kinner von mäner Schweschder. Ich hanns äfach gemachd."
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